10 Dinge die wir von Garry Winogrand über Street-Fotografie lernen können

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A.g.: In the spirit of Open Source here on Eric’s Blog, this is a German translation of 10 Things Garry Winogrand Can Teach You About Street Photography. There’s also a German translation of 10 Things Henri Cartier-Bresson Can Teach You About Street Photography both made by Lukas Beinstein.

Lukas: Garry Winogrand ist einer meiner Favoriten unter den Street-Fotografen, ich habe seinen Ansichten einige Erkenntnisse über die Street-Fotografie zu verdanken. Er war unangefochten einer der produktivsten und leidenschaftlichsten Fotografen seiner Zeit (er schoß über 5 Millionen Fotos in seiner Karriere). Er hasste den Begriff „Street-Fotograf“ und sah sich selber ausschließlich als „Fotograf“. Erst später verstand ich den Gedanken dahinter. Winogrand war mehr daran interessiert zu fotografieren, als sich in eine bestimmte Kategorie einteilen zu lassen.

Ich verstand nie wirklich viel von seinen Ansichten über Fotografie. Warum man ein Jahr warten sollte bevor man seine Fotos entwickelte. Wieso Fotografien keine Geschichten erzählen und wieso es nicht stimmt, dass Emotionen gute Fotos ergeben. Obwohl ich mir nie wirklich sicher war was er sagte, war ich davon fasziniert.

Nach einer Unmenge an Nachforschung über Winogrand, fand ich mehr über seine Philosophie der Fotografie heraus. Ich schlug ein neues Kapitel auf. Ich bin kein Experte wenn es um Garry Winogrand geht, trotzdem beeinflusste er meine Street-Fotografie enorm. Ich hoffe euch durch diesen Artikel einige Dinge lernen zu können, welche Winogrand auch seinen Studenten beibrachte (Die meisten Zitate sind aus „Class Time with Garry Winogrand“ by O.C. Garza und aus „Coffee and Workprints: A Workshop With Garry Winogrand“ by Mason Resnick.)

Wenn ihr noch mehr über Garry Winogrand lernen wollt, lest weiter!

  1. Viel fotografieren

Garry Winogrand fotografierte extrem viel. Um euch eine Idee zugeben wie viel, lest euch diesen Artikel über ihn von seinem ehemaligen Schüler durch:

„Als wir aus dem Gebäude gingen, wickelte er den Leder Riemen seiner Leica um seine Hand, überprüfte das Licht und stellte schnell die Belichtungszeit und Blende danach ein. Er war bereit los zu legen. Wir gingen raus und sofort war er am Werk.

Wir lernten schnell Winogrands Technik, er ging langsam oder blieb in Mitten eines Fußgängerübergangs stehen, an dem gerade Leute vorbei gingen. Ich beobachtete ihn einen Häuserblock entlang gehen, in dieser Zeit schoss er eine ganz Filmrolle ohne dabei eine Pause zu machen. Als er den Film wechselte, fragte ich ihn ob es ihn stören würde, dass er durch den Wechsel gute Foto verpasse. „Nein“ sagte er „Es gibt keine guten Fotos, wenn ich den Film wechsle.“ Er blickte

ständig um sich, oft sah er eine Szene auf der anderen Straßenseite und rannte, den Verkehr ignorierend, über die Straße“ – Mason Resnick

Wow, eine komplette Filmrolle in nur einem Häuserblock! Vielen Fotografen fällt es schwer eine Rolle an einem kompletten Tag auszuschießen und das nicht nur innerhalb eines Häuserblocks.

Wenn ihr sehen möchtet wieviele Filme er geschossen hat, könnt ihr euch den Abdruck der Filme auf der Filmandruckplatte seiner Leica M4 hier ansehen:

Image via Camera Quest

 

Nicht nur das, auch nach seinem leider sehr frühen Ableben (mit 56) hinterließ er 2.500 Rollen mit unentwickelten Filmen, 6.500 Rollen entwickelten, aber noch unsortierten Filmen und circa 3.000 sortierten Rollen. Zusätzlich hat das Garry Winogrand Archive im „Center for Creative Photography“ über 20.000 Drucke, 20.000 Kontaktbögen, 100.000 Negative und 30.500 Farb-Dias, sowie einige Polaroids und Kurzfilme.

Winogrand schoss in einer Geschwindigkeit in der er nicht einmal seine eigenen Fotos begutachten konnte (weil er ständig auf der Straße fotografieren war). In einem Interview mit Barbara Diamonstein fragte sie ihn:

Diamonstein: Wenn man sich diese Unmengen an Kontaktbögen ansieht, wundere ich mich immer wie Fotografen, welche zehntausende Fotos, mittlerweile wahrscheinlich 100tausende, machen, die Ordnung über das Material behalten. Woher wissen Sie was Sie haben und wo Sie es finden?

Winogrand: Schlecht. Das ist alles was ich dazu sagen kann. Es gibt Zeiten in denen es einfach unmöglich ist ein bestimmtes Negativ zu finden. Ich bin ein Ein-Mann Unternehmen und so werden nun mal Dinge durcheinander gebracht. Ich hab kein Ordnungs-System, welches viel dabei hilft die Ordnung zu bewahren.

Diamonstein: Aber denken Sie nicht, dass das wichtig für Ihre Arbeit ist?

Winogrand: Ich bin sogar sicher, dass es wichtig ist, aber ich kann nichts dagegen machen. Es ist hoffnungslos. Ich habe aufgegeben. Man muss einfach jedesmal schuften, wenn man etwas sucht. Ich habe einige Sachen sortiert, aber diese zu finden ist auch eine Sucherei. Es fehlt trotzdem immer etwas.“

Winograd akzeptierte, dass er in seinem ganzen Leben die Zeit nicht hätte, all seine Bilder anzusehen und das es Negative gibt die er einfach nicht finden konnte (wegen der enormen Menge die er fotografierte).

Ich fragte mich immer ob ich sehr viel fotografieren sollte oder nur ganz besondere Dinge und Szenen.

Ich habe eigentlich immer recht viele Fotos auf der Straße gemacht. Als ich noch digital fotografierte zum Beispiel 300-500 Fotos am Tag, ohne Probleme. Jetzt Analog fotografiere ich etwas weniger (1-3 Filme pro Tag). 5-6 wenn ich besonders motiviert bin (wie zum Beispiel bei meiner letzten Reise in Istanbul).

Trotzdem war ich mir nie sicher ob ich einfach nur meine Zeit verschwendete, wenn ich so viele Fotos schoss, ohne mich dabei als Street-Fotograf zu verbessern (weil ich mehr Fotos als nötig schoss).

Ein Zitat, welches mich in diesem Punkt wirklich überzeugt hat, stammt von meinem Freund Charlie Kirk: http://www.burnmyeye.org

„Wenn du dir nicht sicher bist, abdrücken“

Wenn ich nun auf der Straße fotografiere, mache ich mindestens 2-5 Fotos pro Szene (wegen der leichten Änderung der Gesten oder der Position, auch die Personen im Hintergrund können sich in Sekunden ändern). Wenn ihr euch die Kontaktbögen bekannter Fotografen anseht merkt ihr, dass auch diese nicht nur ein Foto vom „Decisive Moment“ machten, sondern immer gleich mehrere: https://erickimphotography.com/blog/2012/07/how-studying-contact-sheets-can-make-you-a-better-street-photographer/

Winogrand fotografierte nicht nur unheimlich viel, er war auch ununterbrochen auf den Straßen. Viele Leute beschrieben ihn als unruhig, er wollte ständig raus um das Leben auf der Straße zu fotografieren.

Wieviele Fotos schoss Winogrand also jetzt in seinem Leben? Rechnen wir mal die Fotos, welche er nach seinem Tod hinterließ mit denen, welche sich im Archiv befinden zusammen.

Fotos von Ihm hinterlassen

  • 500 unentwickelte Filmrollen = 90.000 Fotos
  • 500 entwickelte Filmrollen (unsortiert) = 234.000 Fotos
  • 3000 Kontaktbögen = 108.000 Fotos
  • Total = 432000 Fotos

Fotos aus dem Archiv

  • 000 Kontaktbögen = 720.000 Fotos
  • 000 Negative = 3.600.000 Fotos
  • 500 Farb-Dias = 1.098.000 Fotos
  • Total = 418.000 Fotos

Wir können uns also sicher sein, dass er mindestens 5.850.000 Fotos in seinem Leben schoss. Er starb ohne eine knappe halbe Million (432.000) seiner Fotos gesehen zu haben.

Wieviele Fotos schoss er (durchschnittlich) pro Tag?

Er beginn sein Malerei Studium am City College of New York und sein Malerei und Fotografie Studium an der Columbia University of New York im Jahr 1948 (mit 20 Jahren).

Er starb mit 56. Daraus können wir schließen, dass er mindestens 36 Jahre lang fotografiert hat.

Wenn er also 5.850.000 Fotos in seinem Leben geschossen hat und das 36 Jahre langt, ergibt das 445 Fotos pro Tag (12 Filme pro Tag).

*Nachtrag: Blake Andrews: http://blakeandrews.blogspot.co.at hat mir gerade erzählt, dass die Anzahl der geschossenen Fotos wahrscheinlich um 1-1.5 Millionen geringer ist.

Michael David Murphy sagte in seinem essay on Winogrand: http://2point8.whileseated.org/2010/01/31/reconsidering-winogrand/, Winogrand war in der Tat

„[…] der erste digitale Fotograf“.

Ich denke es ist für die Mehrheit von uns sehr schwer 445 Fotos (12 Filme) pro Tag zu schießen. Trotzdem können wir daraus lernen, dass wenn wir die Anzahl der Fotos, die wir schießen, erhöhen gleichzeitig die Chancen auf gute Fotos erhöhen.

Natürlich kann man so keine mathematische Formel anwenden um gute Fotos zu bekommen, aber um mehr gutes Foto zu schießen, müssen wir die Möglichkeit auf einen „Decisive Moment“ erhöhen. Das erreichen wir dadurch, dass wir mehr Zeit auf der Straße fotografierend verbringen und somit mehr Fotos schießen.

Ich meine nicht, ihr sollt jetzt eure Kamera auf den Burst-Modus stellen und so tausende Fotos schießen (um diesen Tipp zu befolgen). Versucht jedes eurer Fotos bewusst zu schießen, aber lasst euch nicht durch die Anzahl der Fotos einschränken.

  1. Nicht zögern und auf das Bauchgefühl vertrauen

 Durch das Zögern lassen wir viele Chancen auf ein gutes Foto aus. Wir sehen eine tolle Szene direkt vor uns, aber wir zögern aus verschiedenen Gründen (die Person ist zu weit weg, sie könnte dadurch verärgert werden, wir möchte nicht unhöflich sein, usw.).

Wenn Winogrand auf der Straße fotografierte, zögerte er nie ein Foto zu schießen, er war ständig auf der Jagd nach seinen Bildern. Das berichtete Mason Resnick nach seinem zwei-wöchigen Workshop bei Garry Winogrand: http://www.photogs.com/bwworld/winogrand.html

„Er blickte ständig um sich, oft sah er dabei eine Situation auf der anderen Straßenseite. Er ignorierte den Verkehr und rann hinüber um ein Bild dieser Szene zu bekommen.“

Ich möchte euch jetzt nicht dazu verleiten rücksichtslos über die Straße zu laufen, auf der Jagd nach dem „Decisive Moment“ um dabei von einem Auto angefahren zu werden.

Trotzdem können wir von Winogrand lernen, dass es wichtig ist unseren Instinkten und unserem Bauchgefühl zu vertrauen und das Foto einfach zu schießen. Wenn eine Person zu weit weg ist, lauft (oder geht) einfach hin um so das Foto von ihr zu bekommen. Wenn ihr denkt die Person könnte dadurch verärgert werden, vergesst diese Vermutung und schießt das Foto trotzdem. Wenn ihr die Person durch das Foto nicht bloßstellen wollt, schieß das Foto trotzdem. Falls ihr euch danach schuldig fühlt, könnt ihr das Foto immer noch löschen (oder zeigt es einfach niemanden).

  1. Lächeln, beim Fotografieren

Garry Winogrand fotografierte fast sein ganzes Leben lang mit einem 28mm Objektiv, das bedeutete, dass er ziemlich nah an seinen Motiven sein musste. Er war auch nicht Henri Cartier-Bresson (welcher versuchte unsichtbar zu bleiben), er war ein aktiver Teil der Szene. Er fotografierte sehr offensichtlich und war dadurch leicht zu bemerken. Ein Video welches Winogrand beim Fotografieren zeigt findet ihr hier: https://www.youtube.com/watch?v=FJgJtmnt_HI&feature=related

Weiteres erzählte Mason Resnick über seine Eindrucke mit Garry Winogrand:

http://www.photogs.com/bwworld/winogrand.html

„Es war unglaublich, die Leute reagierten überhaupt nicht, wenn er sie fotografierte. Das überraschte mich, denn er versuchte nicht unauffällig zu fotografieren. Er stand sogar den Personen teilweise im Weg um sie zu fotografieren. Die meisten bemerkten es nicht einmal und keiner schien verärgert zu sein.

Winogrand war voller Energie, wenn er fotografierte, er lächelte ununterbrochen und nickte den Leuten freundlich zu. Es war als ob die Fotografie nur nebensächlich wäre und es ihm hauptsächlich um die Gespräche und den Kontakt mit den Personen auf der Straße ginge.

Ich selbst machte auch dieselben Erfahrungen wie Winogrand. Wenn ich auf der Straße fotografiere mache ich das stets mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Nach dem ich ein Foto geschossen habe nicke ich den Leuten zu oder sage „Danke“ und mache ihnen ein Kompliment. Manchmal führe ich auch eine Unterhaltung mit Ihnen, nachdem ich sie fotografiert habe. Das erzeugt eine positive Aura in welcher die Leute nicht misstrauisch werden.

Ich bin sicher, dass es auch viele Momente gab in denen die Leute verärgert waren, weil Winogrand sie fotografierte. Das ist allerdings unvermeidlich in der Street-Fotografie. Ich weiß nicht wie Winogrand darauf reagiert hätte, allerdings gab es keine Vorfälle in welchen er physikalisch verletzt wurde.“

Vergesst nicht zu lächeln, wenn ihr auf den Straßen fotografiert :)

  1. Nicht aus der Hüfte “schießen”

Garry Winogrand würde dich davon abhalten, aus der Hüfte zu fotografieren – wie Resnick erzählt: http://www.photogs.com/bwworld/winogrand.html

 „Ich versuchte Winogrand’s Technik zu imitieren. Ich ging auf die Leute zu, schoss das Foto, lächelte und nickte freundlich, ganz wie der Meister. Niemand beschwerte sich, einige lächelten sogar zurück!

Ich versuchte einige Male Fotos zu schießen, ohne dass ich durch den Sucher blickte. Also Winogrand mich dabei erwischte, sagte er mir sofort sehr deutlich, dass ich niemals ohne zu schauen fotografieren sollte. „Du verlierst so die Kontrolle über den Ausschnitt“ warnte er mich.

Ich glaubte ihm nicht, dass er jedes Mal die Zeit fand durch den Sucher zu schauen und beobachtete ihn genau.

Tatsächlich, Winogrand sieht jedesmal durch den Sucher, in dem Moment in dem er fotografiert. Es war oft nur der Bruchteil einer Sekunde, aber ich bemerke, dass er dadurch die Position seiner Kamera justierte, fokussierte und abdrückte. Er war präzise, schnell und genau.“

Deshalb benutzt euren Sucher (falls ihr einen habt), wenn ihr auf der Straße fotografiert. Es ist natürlich auch möglich gute Fotos aus der Hüfte zu schießen, aber ihr habt weniger Kontrolle über euren Ausschnitt und euere Komposition.

Bei einer Frage und Antwort Runde mit Winogrand im Jahr 1970 in Rochester, New York (http://www.americansuburbx.com/2012/01/interview-monkeys-make-problem-more.html) ging es um das „Aus der Hüfte schießen“:

 Moderator: Was ich eigentlich fragen möchte ist, schießen Sie häufig ohne in den Sucher zu blicken?

Winogrand: Ich schieße niemals ohne durch den Sucher zu schauen. Oh, Ja da waren schon einige wenige Male. Bei denen ich die Kamera über meinem Kopf halten musste, aus physikalischen Gründen, aber das passiert nur sehr selten.

Wenn eure Kamera einen Sucher hat, verwendet ihn. Dafür ist er schließlich da! Ich schoß auch eine Zeit lang aus der Hüfte als ich mit der Street-Fotografie begann (weil ich zu schüchtern war fremde Personen zu fotografieren), aber für mich persönlich war das nur ein Hindernis. Ich bekam nur mit sehr viel Glück ein gutes Foto zustande. Bei den meisten Aufnahmen war der Ausschnitt schlecht oder sie waren verwackelt beziehungsweise unscharf.

Als ich damit begann jedes mal meinen Sucher zu verwenden, wurde mein Composing und mein Ausschnitt um einiges besser.

Wenn eure Kamera nur einen LCD-Bildschirm hat (oder ihr euch keinen Sucher für eure Micro 4/3rd oder Kompaktkamera kaufen wollt) könnt ihr natürlich den Sucher nicht benutzen. Denkt trotzdem immer daran bewusst zu fotografieren und auf euren Ausschnitt zu achten.

  1. Nicht zuschneiden

Einen weiteren Punkt den Winogrand vertrat (den auch Henri Cartier-Bresson vertrat) war das nicht nachträglich Zuschneiden seiner Fotos.

Wie O.C. Garza erzählte, nachdem er eine von Winogrands Fotografie Klassen besuchte:

„Der Rest des Workshops folgte gewissen Mustern. Ich fotografierte wie ein Wahnsinniger (so auch die meisten anderen Studenten), entwickelte danach in der Dunkelkammer bis zum Morgengrauen, dann schleppte ich meinen Stapel 20x25cm Bilder zurück nach New York (von Long Island). Zum Beginn des Unterrichts um 9 Uhr morgens.

Winogrand sortiere die Bilder in Gute und Schlechte. Ich studierte seine Auswahl und versuchte seine Logik dahinter zu verstehen. Ich bemerkte, dass Winogrand die Fotos danach aussuchte, ob sie im Ganzen gut wirkten, ohne dabei alt zu sehr auf visuelle Aspekte einzugehen. Dabei ging er sehr intuitiv vor. Wenn nur Teile des Fotos funktionierten, war es für ihn nicht gut genug.

Zuschneiden war keine Option. Er sagte uns wir sollten den kompletten Ausschnitt bereits im Vorhinein beachten, sodass es im Nachhinein gar nicht mehr notwendig ist zu beschneiden. Er merkte noch an, dass wir auf unsere Auswahl vertrauen sollten, da wir mit ihr etwas verbinden, auch wenn niemand anderes dieser Meinung ist.“

Obwohl das Zuschneiden eine gute Möglichkeit ist um eure Fotos zu verbessern, kann es euch auch ein Hindernis sein. Ich beschnitt früher einige Menge meiner Street-Fotos (wenn ich zum Beispiel einen unordentlichen Hintergrund hatte oder ablenkende Objekte im Bild). Das führte bei mir allerdings dazu, dass ich mir unterbewusst dachte „Wenn der Ausschnitt nicht passt, kann ich es immer noch nachher zuschneiden“. Dadurch fotografierte ich nicht sauber und achtete weniger auf den Ausschnitt.

Zur Wiederholung, versucht den richtigen Ausschnitt zu bekommen, ohne, dass ihr nachträglich zuschneiden müsst. Dadurch seid ihr gezwungen um euer Objekt „herum tanzen“ um ein stimmiges Bild zu bekommen. Ihr werdet dadurch mehr Bilder mit gutem (nicht ablenkenden) Hintergrund bekommen. Außerdem müsst ihr euch dadurch näher zu euren Objekten begeben um den richtigen Ausschnitt zu bekommen.

Ich meine damit nicht, dass ihr niemals ein Foto zuschneiden dürft (wenn ihr euch Robert Franks Kontaktbögen zu The Americans anseht, bemerkt ihr, dass er sehr viele seiner Fotos zuschnitt), aber versucht es mit Maß und Ziel zu machen.

  1. Emotional von Foto lösen

Ein berühmtes Zitat von Winogrand lautet: „Manchmal verwechseln Fotografen Emotionen damit, was ein gutes Foto ausmacht“. Als ich dieses Zitat zum ersten mal laß, war ich nicht ganz sicher was er damit meinte.

Um das aufzuklären, schauen wir uns nochmal O.C. Garzas Bericht, über Winogrands Fotografie Klasse an:

„In der zweiten Woche öffnete sich Winogrand und erzählte uns von seinen Methoden zu arbeiten. Welche ziemlich ungewöhnlich, aber nicht schlampig waren.

Er entwickelte seine Filme nie direkt nach dem Fotografieren. Er wartete bewusst ein bis zwei Jahre damit. Dadurch hatte er keine Erinnerungen oder Emotionen mehr zu den Bilder und konnte sie objektiv bewerten.

Er meinte, so könne er seine Kontaktbögen kritischer betrachten. „Wenn ich an einem Tag gut drauf war und die Bilder direkt danach entwickelt hätte, hätte ich vielleicht ein Foto ausgewählt, aufgrund der guten Erinnerungen daran und nicht weil es ein gelungenes Bild war.“ erzählte er.

Du triffst eine besser Auswahl, wenn du deine Kontaktbögen emotionslos betrachtest und dadurch das Fotografieren so weit wie möglichst vom Entwickeln fern haltest.“

Ich stimme seinen Gedankengängen diesbezüglich zu und finde es eine gute Idee eine Zeit lang zu warten bevor man seine Bilder entwickelt. Eines der großartigen Dinge der digitalen Fotografie (seine Bilder direkt nach der Aufnahme sehen zu können) kann auch etwas Negatives sein. Auch Alex Webb sprach darüber, als er von Kodachrome Dia-Filmen zur digitalen Fotografie wechselte. Er meinte, die digitale Technik gäbe ihm nicht genug Zeit, da er so schnell nach der Aufnahme noch nicht bereit wäre seine Bilder zu sehen und zu bearbeiten.

Wenn ich digital fotografierte, war mein Problem, dass ich ständig den Drang hatte meine Bilder direkt nach der Aufnahme zu sehen. Wenn ich auf der Straße fotografierte und ein meiner Meinung nach grandioses Foto schoß (zum Beispiel ein Mädchen mit einem roten Regenschirm, welches über eine Lacke springt) war ich so glücklich darüber dieses Bild geschossen zu haben, dass ich das Foto nicht objektiv beurteilen konnte.

Ich würde dann auf meinen Bildschirm sehen, glücklich aufschreien, Nachhause laufen, es bearbeiten und sofort auf Flicker hochladen. Nach ein paar Tagen wäre ich entsetzt darüber, wie wenige „likes“ und Kommentare es im Vergleich zu meinen anderen Fotos hätte. Nach ein paar Wochen würde auch ich merken, dass das Foto nicht so gut ist wie ich es in Erinnerung hatte.

Einen der Vorteile, den ich bemerkte als ich auf Film fotografierte war, dass es mir half mich emotional von meinen Bildern zu distanzieren. Ich schieße durchschnittlich 50 Filmrollen pro Monat, diese sehe ich mir frühesten ein Monat nach der Aufnahme an.

Wenn ich mir die Fotos dann ansehe, habe ich circa die Hälfte der Aufnahmen schon wieder vergessen. Das hilft mir dabei objektiv bei der Auswahl der Fotos zu bleiben.

Egal ob ihr digital oder analog fotografiert, ich denke wir können alle von Winogrand lernen zu Warten bevor wir uns unsere Fotos ansehen oder entwickeln. Lasst eure Fotos wie die Marinade in einem Steak einwirken oder wie einen Rotwein atmen. Ein oder zwei Jahre zu warten, bis ihr eure Fotos anseht ist vielleicht etwas extrem, aber es hilft euch definitiv die Fotos zu vergessen um sie danach objektiver bewerten zu können.

Wenn ihr digital fotografiert, wartet ein paar Tage oder eine Woche bis ihr euch eure Fotos in Lightroom genauer anseht. Oder einfach ein Monat oder länger! Das selbe gilt auch für Analog.

  1. Gute Fotos ansehen

Kein Fotograf lebt im Vakuum, auch Winogrand natürlich nicht. Er war ein großer Fan von vielen zeitgenössischen Street Fotografen (und auch von einigen vor seiner Zeit).

Ein weiterer Auszug aus Resnick’s Workshop mit Winogrand:

http://www.photogs.com/bwworld/winogrand.html

„Er ermutigte uns sich gute Fotos anzusehen. „Seht euch Fotos in Galerien an, damit ihr wisst wie gute Fotos aussehen.“

Winogrand empfahl uns The Americans von Robert Frank, American Images von Walker Evans, Robert Adams’ Arbeiten und die Fotos von Lee Friedlander, Paul Strand, Brassai, Andre Kertesz, Weegee und Henri-Cartier Bresson.

Aus dem Interview mit dem Image Magazine von 1972:

http://www.americansuburbx.com/2012/01/interview-monkeys-make-problem-more.html

Moderator: Schauen Sie sich viele Fotos anderer Fotografen an?

Winogrand: Natürlich schaue ich mir Fotos an.

Moderator: Welche Fotos interessieren sie dabei?

Winogrand: An der Spitze meiner Liste stehen: Atget, Brassai, Kertesz, Weston, Walker Evans, Robert Frank, Bresson.

Moderator: Gefallen sie Ihnen aus bestimmten Gründen?

Winogrand: Ich lerne von ihnen. Ich kann von ihnen lernen.“

Winogrand erklärte in diesem Interview auch wodurch er inspiriert wurde um mit der Fotografie zu beginne:

„Niemand existiert in einem Vakuum. Das erste mal, dass ich wirklich aus New York rauskam, war 1955. Ich wollte durchs Land reisen und fotografieren. Ich sprach darüber mit einem Freund von mir, ein Typ namens Dan Weiner. Ich weiß nicht ob sie ihn kennen. Er ist schon tot.

[Er] fragte mich ob ich Walker Evans’ Buch kenne. Ich sagte Nein. Ich habe noch nie von ihm gehört. Er sagte, wenn ich plane durchs Land zu reisen, sollte ich mir unbedingt sein Buch ansehen. Damit gab er mir einen gewaltigen Tipp.

Und dann wurde es lustig, Ich vergaß welches Jahr es war, in dem Jahr als Robert Franks Buch rauskam. Er arbeitete ziemlich viel zu der Zeit, ’55 oder so. In dem Buch waren vielen Fotos von denen ich lernte, vor allem von dem „Tankstellen Foto“. Ich meine, Ich hoffe Ich lernte. Zumindest denke ich das er dafür verantwortlich ist….“

Holt euch eure Inspiration von anderen Fotografen. Schaut mit welchen Teilen ihrer Werke ihr etwas verbindet, nehmt euch Teile oder Stücke und verbindet sie mit euren Arbeiten. Egal ob es das Objekt ist, welches sie fotografieren, der Ausschnitt, der Winkel oder eine spezielle Technik.

Ich denke es ist gefährlich für Street-Fotografen sich zu verschließen und nicht durch andere Arbeite inspirieren zu lassen.

„Ihr seid was ihr esst“ Konsumiert tonnenweise Foto-Bücher, schaut euch Blogs anderer Street-Fotografen an und besucht Ausstellungen und Büchereien.

  1. Auf Form und Inhalt konzentrieren

Ein bekanntes Zitat von Winogrand lautet: „Jedes Foto ist ein Kampf von Form gegen Inhalt“ und „Ein gutes Foto ist immer an der Grenze zur Niederlage“.

Viele seiner Wortspiele in seinen Zitaten verstand ich nie richtig.

O.C. Garza über seine Erfahrungen mit Winogrand:

http://www.americansuburbx.com/2011/07/garry-winogrand-class-time-with-garry.html

„Langsam ging mir ein Licht auf. Wenn alle grafischen Elemente zusammen passen, wieso sind meine Fotos dann noch immer schlecht? Ich sah mir mehr von Garrys Fotos an und bemerkte, dass seine Bilder nicht nur grafisch gut waren, sondern auch das gewisse Etwas hatten. Er würde dieses Gewisse etwas „Inhalt“ nennen. Garry wiederholte oft die Phrasen „Jedes Foto ist ein Kampf von Form gegen Inhalt“ und „Ein gutes Foto ist immer an der Grenze zur Niederlage“.

Form und Inhalt sind die zwei wichtigsten Elemente eines guten Fotos. Betrachtet „Form“ als Komposition, Ausschnitt und den technischen Aspekt der Fotografie und den „Inhalt“ als das was tatsächlich in dem Bild passiert (egal ob es ein altes Paar ist, welches Hände hält, ein junge mit zwei Weinflaschen oder ein Mann, der durch ein Guckloch sieht).

Wir benötigen Beides, eine gute Form und einen guten Inhalt um ein unvergessliches Street-Foto zu schießen. Das kommt allerdings nur sehr selten vor. Das macht die Street-Fotografie so schwer.

Ich bin mir sicher ihr hattet auch schon Fotos, bei denen ihr nicht sicher wart ob sie gut oder schlecht sind. Ich nenne sie gerne „vielleicht Fotos“. Ich habe einen kompletten Ordner voll dieser Fotos. Meistens sind es Bilder, welche eine starke Form haben, aber einen uninteressanten Inhalt. Andere haben einen interessanten Inhalt aber eine schlechte Form.

Ich denke das ist es was Winogrand damit gemeint hat, dass „gute Fotos an der Grenze zur Niederlage“ sind. Es gibt so Vieles, dass euer Foto schlecht machen kann. Wenn ihr aber genug Hingabe, Glück und die Fähigkeit eine ausgewogenen Komposition zu erstellen habt, dann könnt ihr ein großartiges Street-Foto aufnehmen.

  1. Außerhalb der Fotografie inspirieren lassen

Ich denke um außergewöhnlichere Street-Fotos zu schießen, hilft es sehr sich auch außerhalb der Fotografie inspirieren zu lassen. Winogrand ist der selben Meinung, wie man in dem Interview mit dem Image Magazine von 1972 sieht:

http://www.americansuburbx.com/2012/01/interview-monkeys-make-problem-more.html

Moderator: Gibt es anderen Dinge, welche für Sie fotografisch von Bedeutung sind? Damit meine ich, kommen Sie auf Ideen

— nicht Ideen — haben Sie an Erfahrung gewonnen durch etwas, dass nicht mit Fotografie zu tun hat?

Winogrand: Ich denke schon. Sehr viel sogar. Durchs Lesen zum Beispiel oder durch die Musik oder durch das Malen oder die Bildhauerei und viele mehr. Basketball, Baseball, Hockey usw. Eigentlich kann man immer von jemand anderen lernen. Denke ich. Hoffe ich.“

Konsumiert Kunst, Bücher, Musik, Gemälde, Skulpturen und andere Dinge außerhalb der Fotografie. Das hilft euch einen neuen Blickwinkel auf eure Fotografie zu bekommen.

Zum Beispiel Sebastião Salgado (https://en.wikipedia.org/wiki/Sebastião_Salgado), einer der einflussreichsten Dokumentar Fotografen und Fotojournalisten. Er begann seine Karriere als Wirtschaftswissenschaftler. Als er sich die Arbeitsstellen persönlich anschaute, kehrte er der Wirtschaft den Rücken und wechselte zur Fotografie, um auf die Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Ländern aufmerksam zu machen. Salgado nahm seine Erfahrungen als Wirtschaftswissenschaftler und wendete sie in der Fotografie an.

Ich begann Soziologie an der UCLA zu studieren. Meine Interesse für die Fotografie entwickelte sich zur selben Zeit. Ich interessierte mich hauptsächlich dafür Personen in ihrem sozialen Umfeld zu fotografieren. Daher versuche ich mein Interesse für Soziologie in meine Bilder und meine Street-Fotografie Projekte einzubauen. (https://erickimphotography.com/blog/2012/07/16/how-you-can-apply-sociology-to-your-street-photography-projects/)

Denkt daran welche Erfahrungen und Interessen (außerhalb der Fotografie) eure Street-Fotografie beeinflussen können. Dadurch könnt ihr einen eigenen Stil entwicklen und eure Bilder spiegeln eure Persönlichkeit wieder.

  1. Das Leben lieben

In Garry Winogrands retrospektiven Buch, welches vom MOMA publiziert wurde, schrieb John Szarkowski (https://en.wikipedia.org/wiki/John_Szarkowski)(ehemaliger Kurator des MOMAs) eine wunderbare Biografie über das Leben von Winogrand.

Der Absatz, welcher mir am meisten in Erinnerung bliebt war der (leicht variiert durch meine Gedächtnis), in dem Szarkowski über die Verwunderung der Leute über Winogrand sprach. (Wieso machte er so viele Fotos, wenn er genau wusste er würde sie sich nicht sehen?)

Szarkowski schrieb, ziemlich wortgewandt, dass es Winogrand weniger um die Fotografie ging, als um das Einfangen des Lebens.

Ich denke als Street-Fotografen können wir sehr viel durch die Worte von Szarkowski, über Winogrand, lernen.

Als Street-Fotografen sollten wir danach streben eindrucksvolle Fotos von Personen, der Gesellschaft und der Art wie wir das Leben sehen zu machen. Wir sollten allerdings trotzdem niemals vergessen, Fotografie ist nicht so wichtig, wie das Leben zu genießen.

  1. Sich selbst nicht als „Street-Fotograf“ bezeichnen

Garry Winogrand hasste die Bezeichnung „Street-Fotograf“. Er bezeichnete sich einfach als Fotograf — nicht mehr und nicht weniger.

Gefährlich daran, sich in eine Rubrik einzuteilen ist, dass ihr dadurch schnell in eine Schublade gesteckt werdet. Robert Capa empfahl Henri Cartier-Bresson folgendes:

„Du solltest dich nicht als surrealistischer Fotograf kennzeichnen. Denn dadurch, wirst du keine Aufträge mehr bekommen, du wirst dich fühlen wie eine Pflanze im Treibhaus…. Die Bezeichnung sollte Fotojournalist sein.“

Obwohl Henri Cartier-Bresson ohne Zweifel der „Godfather“ der Street-Fotografie ist, hat er sich trotzdem niemals als Street-Fotograf bezeichnet.

Natürlich können wir uns Street-Fotografen aus praktischen Gründen nennen. Wenn uns jemand fragt was wir fotografieren werden wir nicht Landschafts-Fotograf oder Vogel-Fotograf antworten. Trotzdem ist es manchmal seltsam zu sagen „Ah, Ich fotografiere gerne fremde Leute auf der Straße, manchmal mit Erlaubnis, manchmal ohne.“ Da ist die einfachere Antwort „Ich bin Street-Fotograf.“

Aber auch nicht alle Street-Fotografen fotografieren das Selbe. Manche konzentrieren sich darauf Gesichter zu fotografieren, andere auf den „Decisive Moment“, andere auf Still-Leben und wieder andere darauf unübliche oder lustige Momente in der Öffentlichkeit fest zu halten.

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